Sonntag, 15. Juni 2014

Naturheilverfahren Teil I



Die Tatsache, dass es im Medizinstudium eine Prüfung über Naturheilverfahren gibt, überrascht und verwundert viele. Ist sowas nicht ein Blödsinn? Wie können Sachen, die nicht wirklich wissenschaftlich bewiesen sind, an der Uni unterrichtet und sogar geprüft werden?
Die meisten Medizinstudenten selbst sind, was Komplementärmedizin angeht, sehr skeptisch und machen sich oft lustig über die Behauptungen, dass natürlche Heilmittel manchmal sogar eine bessere Symptomlinderung als die „tollen“ Medikamente der modernen schulischen Medizin liefern können. Allerdings, wenn man krank ist und die konventionellen Arzneimittel bisher nicht geholfen haben, spricht nichts dagegen alternative Möglichkeiten zu suchen. Dabei muss man natürlich beachten, dass diese dem Körper keine zusätzlichen Schaden anrichten. In der Regel können aber Naturheilverfahren nur geringe Nebenwirkungen und Risiken haben und zwar sehr selten. Einige Behandlungen sind durchaus evidenzbasiert und damit wissenschaftlich anerkannt.
Was versteht man unter Naturheilverfahren? Es gibt keine einnheitliche und allgemeingültige Definition, aber die beiden wichtigsten sind: „Therapien, die aus der Natur stammen, wie beispielsweise Wärme, Kälte, Pflanzenzubereitungen u. a. (»Naturheilmittel« )“ und/oder solche, „die im Körper natürliche Reaktionen auslösen oder fördern, die ihrerseits Krankheiten heilen oder Krankheitssymptome lindern können (»natürliche Therapie«)“ (Gutenbrunner, Glaesener: „Rehabilitation, physikalische Medizin und Naturheilverfahren“, S. 220, Springer Verlag).
Die fünf Säulen der klassischen Naturheilverfahren, die dem Therapiekonzept nach Kneipp entsprechen, sind:
1)      Hydrotherapie: Anwendung von (Heil-, Mineral-)wasser
2)      Diätetik: Unterstützung der Behandlung durch gesunde Ernährung
3)      Phytotherapie: Einsatz von Pflanzenwirkstoffen
4)      Bewegungstherapie
5)      Ordnungstherapie: einhalten von gesunfheitsfördernen Verhaltens- und Lebensweisen
Das Heilwasser hat einen Arzneimittelstatus und unterliegt dem Arzneimittelgesetz. Aus diesem Grund muss das Etikett Information über ihr Zusamensetzung (z.B. Mineralisation), Indikation, Kontraindikation und Nebenwirkungen enthalten.  Heilwasser wird bei Störungen in den Bereichen: Magen-Darm-Trakt, Niere und Harntrakt, Stoffwechsel und Minterallstoffmangel angewendet. Die Balneo-Photo-Therapie mit Minerallwasser wird bei Psoriasis (entzündliche Hautkrankheit) sogar von den gesetzlichen Krankenversicherung übernommen, da sie im Vergleich zur trockenen UV- Therapie 4,5-mal wirksamer ist.
Die Hydrotherapie ist ein anerkanntes Verfahren der physikalischen Therapie und der klassischen Naturheilverfahren, das Wasseranwendung in jedem Aggregatzustand beinhaltet.  Dazu gehören Güsse, Kompressen/Wickel, Bäder und Inhalation. Wichtigste Prinzipien der Hydrotherapie:
1)      Wärme:
a.      Wirkung: Muskelentspannung, Schmerzlinderung, Durchblutungssteigerung und Verdauungsförderung
b.      Kontraindikationen (Gegenanzeigen): akute entzündliche Prozesse, Kreislaufprobleme
Vorsicht: Kreislaufbelastung bei großflächiger langer Wärmeanwendung (Vollbäder, Ganzkörperwickel, Sauna)
2)      Kälte:
a.      Wirkung: Schmerzlinderung, Abschwellung, Entzündungshemmung, Blutungsstillung
b.      Kontraindikationen: arterielle Durchblutungsstörungen, Kreislaufinsuffizienz
Vorsicht: Kreislaufbelastung/Erfrierungsgefahr bei großflächiger langer Kälteanwendung
Anwendungen:
·         warmes Armbad bei Einschlafproblemen: 15 Minuten lang beide Arme in warmes Wasser (35-38°C) tauchen und danach abtrocknen
·         kaltes Armbad zur Erhöhung der Konzentration (z.B. beim Lernen): Arme kurz (10 sec.) ind kaltes Wasser (20-25°) halten, mit rauem Tuch trocken reiben
·         Wechselbäder/-güsse bei Krampfadern: Wechsel von kaltem und warmem Wasser kurbelt das Immunsystem an und trainiert das Gefäßsystem
·         Aufsteigendes Armbad nach Hauffe bei Durchblutungsstörung der Füße, Gelenkerkrankungen: im Sitzen beide Arme in 35°C warmes Wasser legen, allmähliches Zugießen von heißem Wasser in 2-3 min. Abständen bis 41°C erreicht werden. Dauer: 15-20 Min. Wichtig: abschließend kalter Abguss
Kontraindikation: Lymphödem des Armes, akute Gelenkentzündung
Vorsicht: der Blutdruck kann sehr schnell sinken, deshalb bei plötzlich auftretendem Schweißausbruch, sofort die Anwendung abbrechen!
Die durchblutungsfördernde, entspannende und entkrampfende Wirkung der Thermotherapie ist jedem bekannt, deshalb greifen viele bei Bauchschmerzen (u.a. Menstruationsbeschwerden) und Muskelverspannungen sofort zu  Körnerkissen oder Moorkompressen. Dabei muss man aber beachten, dass bei Entzündung die Wärme streng kontraindiziert ist! Also nicht bei jedem Schmerz, vor allem wenn die Ursache unbekannt ist, automatisch die Wärmeflasche auf den Bauch legen.
Weiterhin kann man bei Gelenkschmerzen, Verstauchungen und Prellungen kalten Quark oder Kohlwickel für ca. 20 Minuten anwenden. Für akuten Ohrenschmerzen wegen Ohrenentzündung oder bei Nasennebenhöhlenentzündung können warme Zwiebelsäckchen helfen. Zweiebeln enthalten den Wirkstoff Isoallicin (im Knoblauch: Allicin), der in vitro antibakteriell, antiviral, fungizid und entzündungshemmend wirkt.
Die wichtigsten Regeln sind:
1.      Eine Stunde vor/nach Mahlzeit keine Wasseranwendung
2.      Kälte nur am warmen Körper anwenden (d.h. Fieber, aber kalte Füße: keine kalte Kompresse!).
3.      Je kälter das Wasser, umso kürzer die Anwendung.
4.      Entzündliche Prozesse kalt, chronische Prozesse warm behandeln.
Wissenschaftliche Evidenz
Wie bereits erwähnt gibt es für die Wirkung von einigen alternativen Therapieverfahren wissenschaftliche Hinweise. Zum Beispiel wurden signifikant positive Effekte von Yoga auf Epilepsie, Prämenstruelles Syndrom, Depression, Schlafstörungen und chronische Lumbalschmerzen in mehreren Studien nachgeweisen. Weiterhin hat man gesehen, dass Phytotherapie mit mehr als fünf Tassen grünes Tee am Tag den Cholesterinspiegel im Blut signifikant senken und sich sehr positiv auf den Verlauf des Prostatakarzinoms auswirken. Wie vielen bekannt, können bei grippalen Infekten Dampf- Inhalationen mit Meeressalz oder Kamille helfen.
Im nächsten Teil erwarten euch mehr interessante Informationen über pflanzliche Arzneimittel und ihre Anwendung.

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