1600 Pennsylvania Avenue – das ist wohl eine bedeutendsten
Adressen auf der Welt. Denn hier steht das Weiße Haus – Amtssitzt des
Präsidenten der Vereinigten Staaten. Während wir Deutschen erst nächstes Jahr
wieder an die Wahlurne dürfen, tobt in den Vereinigten Staaten bereits der
erbitterte Kampf um den begehrten Platz im Oval Office. Das amerikanische
Wahlsystem ist komplex und hat seine Eigenheiten. In der Präsidentschaftswahl 2000
zum Beispiel hatte der demokratische Kandidat Vizepräsident Al Gore ca. 51 Mio.
Stimmen und der republikanische Kandidat Gouverneur George W. Bush nur ca. 50,5
Mio. Stimmen. Dennoch wurde Bush der 43. Präsident der Vereinigten Staaten. Und
als wäre das nicht genug spielte der Oberste Gerichtshof auch noch eine nicht
zu vernachlässigende Rolle in dieser Entscheidung. Wie also funktioniert dieses
auf erstem Blick kontraintuitiv wirkende Wahlsystem?
Fangen wir bei den Grundlagen an. In den USA besteht de
facto ein Zweiparteiensystem. Es gibt die Demokraten und die Republikaner. Daneben
gibt es noch mehrere kleine Parteien, die jedoch auf Bundesebene und auch
allgemein so gut wie keine Rolle spielen. Die politische Gesinnung der Parteien
hat sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg stark verändert. So wurde
die republikanische Partei mit dem Ziel der Abschaffung der Sklaverei
gegründet, was unter ihrem ersten Präsidenten Abraham Lincoln in den
Bürgerkrieg mündete. Heute steht die GOP (anderer Name für die Republikanische
Partei; grand old party) jedoch vor allem für Konservatismus. Die
Republikanische Partei ist aber vor allem auch die Partei der Industrie und der
soziökonomischen Elite. Sei es durch die Leugnung des Klimawandels um jegliche
Bemühungen um die Bekämpfung dessen zugunsten ihrer Geldgeber aus der
Ölindustrie im Keim zu ersticken. Oder durch die Deregulierung des
Finanzsektors im Namen der Trickl-Down-Economy (passenderweise auch Reaganismus
genannt). Die Demokraten dagegen verkörpern die linke Seite des politischen
Spektrums. Sie stehen für soziale Sicherheit, Politik für eine starke
Mittelschicht und verantwortungsbewusster Umgang mit dem Planeten.
Eine dieser beiden Parteien wird also den nächsten
Präsidenten stellen. Doch wie genau funktioniert dieser Prozess? Zunächst wird
innerhalb einer Partei nach dem Kandidaten der Partei gesucht. Dieser
Nominierungsprozess (auch Primary) beinhaltet Wahlen in allen 50 Staaten an
deren Ende die beiden Präsidentschaftskandidaten feststehen. Es kandidieren
zurzeit 3 Politiker um die demokratische Nominierung und 12 Kandidaten bewerben
sich um die republikanische Nominierung. Auf Seite der Demokraten buhlen die
ehemalige US-Außenministerin und First Lady Hillary Clinton, Senator von
Vermont Bernie Sanders und ehemaliger Gouverneur von Maryland Martin O’Malley
um die Gunst der Wähler. Während die Wahl von Clinton vor einem Jahr noch
eindeutig schien, hat sie mittlerweile in Bernie Sanders einen respektablen
Herausforderer gefunden. Während Hillary vor allem die Unterstützung des
demokratischen „establishments“ (politische Führungsschicht) hinter sich hat,
punktet Bernie Sanders stark in der progressiven Basis der Partei und bei
Millennials. Es könnte sich also 2008 wiederholen, indem die mutmaßliche
Kandidatin Clinton von einem Herausforderer von links besiegt wird (damals
Barack Obama).
Fünf Demokraten starteten ins Rennen (von li. nach re.): Lincoln Chafee, Hillary Clinton, Martin O´Malley, Bernie Sanders und Jim Webb. Chafee und Webb haben ihre Kampagnen bereits beendet. |
Wie geht es nun weiter, wenn die Kandidaten der jeweiligen
Parteien feststehen. Die Wahl findet am 8.November 2016 statt. Wahltag ist seit
1845 der Dienstag nach dem ersten Montag im November. Der November wurde
ausgesucht, da zu Zeitpunkt die Ernte bereits eingeholt war und die Bauern
somit Zeit zum Wählen hatten. Der Sonntag kam wegen des damals üblichen
Kirchbesuchs nicht infrage. Auch der Montag fiel somit raus, da damals längere
Anreisen (die am Sonntag begonnen) nicht unüblich waren. Samstag war Markttag
vielerorts, der am Freitag vorbereitet wurde. Und Donnerstag ist der Tag, an
dem die damals von vielen ungeliebten Briten ihr Parlament wählten. Also blieb
Mittwoch oder Dienstag übrig. An diesem Tag werden jedoch nur die Wahlmänner
des Electoral College (Wahlmännerkollegium) bestimmt. Die eigentliche Wahl
erfolgt 41 Tage später am 18. Dezember. Die Wahl ist also indirekt. Jeder Staat
hat eine feste Anzahl von Wahlmännern, die sich nach der Anzahl der
Kongressabgeordneten richtet. Jeder Bundesstaat besitzt zwei Senatoren und eine
von der Einwohnerzahl abhängige Zahl von Abgeordneten im Repräsentantenhaus.
Texas zum Beispiel hat 36 Abgeordnete. Zusammen mit den zwei Senatoren ergibt
dies eine Zahl von 38 Wahlmännern im Electoral College. Jeder Staat hat also
mindestens 3 Wahlmänner. Mit 55 hat Kalifornien die meisten Wahlmänner. Der
Bundesdistrikt (also Washington D.C) hat keine wahlberechtigte Repräsentation
im amerikanischen Kongress. Er darf maximal so viele Wahlmänner entsenden wie
der bevölkerungsärmste Staat. Die Zahl der 538 Wahlmänner setzt sich also aus
der Zahl von 435 Abgeordneten, 100 Senatoren und 3 Wahlmännern aus dem
Bundesdistrikt zusammen.
41 Tage nach der Wahl treffen sich die Wahlmänner in den
Hauptstädten ihrer jeweiligen Bundesstaaten. In allen Staaten außer Maine und
Nebraska gilt dabei das Mehrheitswahlrecht. Das heißt, der Kandidat, der in
diesen Staaten die meisten Stimmen erhält, bekommt alle Wahlmänner aus diesem
Staat. Der Verlierer geht leer aus. In Maine und Nebraska können die Stimmen
auch geteilt werden. In 24 Staaten sind die Wahlmänner frei in ihrer
Entscheidung, das heißt sie können auch gegen den Wählerwunsch abstimmen. Die
Stimmzettel werden versiegelt und an den Präsidenten des Senats übersendet.
Dieses Amt wird, der Verfassung entsprechend, vom Vizepräsident der Vereinigten
Staaten bekleidet, derzeit also Joe Biden. Am ersten Sitzungstag des neuen
US-Kongress (der auch im November gewählt wurde) am 3. Januar werden die
Stimmen in Anwesenheit beider Kammern ausgezählt. Für die Wahl zum Präsidenten
ist die absolute Mehrheit von mindestens 270 Stimmen notwendig. Gelingt es
keinem Kandidaten die absolute Mehrheit zu bekommen, so muss das Repräsentantenhaus
den Präsidenten wählen. Dabei stimmen die Delegation aus den verschiedenen
Staaten zusammen ab und jeder Staat erhält eine Stimme. Es müssen also 26
Staaten für denselben Kandidaten stimmen. Der Fall, dass der Kongress den
Präsidenten wählen muss, ist mittlerweile zweimal eingetreten.
Aufgrund des Wahlmännerkollegiums ist es möglich, dass bei
bestimmten Stimmkonstellationen mehr Leute für den einen Kandidaten abstimmen,
aber der andere Kandidat mehr Wahlmänner erhält, wie zuletzt 2000 der Fall. Und
darin liegt auch einer der Hauptkritikpunkte des Electoral College. Außerdem
führt die Aufteilung der Bevölkerung eines Staates auf eine gewisse Anzahl von
Wahlmännern dazu, dass nicht jede abgegebene Stimme gleich viel wert ist. So
repräsentieren die 3 Wahlmänner von Wyoming je 187.875 Einwohner wohingegen die
55 Wahlmänner von Kalifornien je 677.345 Einwohner repräsentieren. Durch das
Mehrheitswahlrecht und das Layout der Wahlbezirke gewinnt in vielen Staaten
immer dieselbe Partei. Das führt dazu, dass die Kandidaten ihren Wahlkampf
verstärkt in die sog. „Swing States“ verlagern. Das sind Staaten, bei denen
sich der Wahlerfolg einer Partei nicht so leicht vorhersagen lässt. Diese hart
umkämpften Staaten, wie Ohio oder Florida, haben daher eine besondere Bedeutung
für die Kandidaten, sodass ihre Anliegen oft bevorzugt von den Kandidaten für
den Wahlkampf aufgegriffen werden, wohingegen traditionell republikanisch oder
demokratische Staaten in der Wahlkampfpriorität wesentlich unwichtiger sind.
Wie geht es nun weiter? Am 1. Februar beginnen die Vorwahlen
mit den Iowa Caucuses, gefolgt von den New Hampshire Vorwahlen am 9. Februar.
Diesen beiden Vorwahlen kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie die erste
Probe für die Kandidaten darstellen. Nach diesen Wahlen wird sich auch das
überfüllte Feld, vor allem bei den Republikanern lichten. Und es wird sich auch
zeigen, ob sich der Albtraum von 2008 für Hillary Clinton wiederholen könnte
und ob Donald Trump tatsächlich eine Chance auf das höchste Amt im Land hat
oder ob seine Erfolg in den Umfragen nur Schall und Rauch war.
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