Interview mit einer Sozialarbeiterin
Seit einigen Tagen versuche ich ein Interview mit einer
Sozialarbeiterin in einem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu
organisieren. Nun endlich ist es mir gelungen. B. arbeitet in einem Heim in
der Umgebung von Heidelberg. Da sie aber eigentlich recht scheu ist, haben wir uns darauf geeinigt,dass ich nicht zu genauere Details nenne.
F: B., stell dich
bitte kurz vor.
B: Ich habe 2013 meine Ausbildung als Jugendheimerzieherin
absolviert und seit Juli 2014 arbeite ich mit unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen, also Jugendlichen, die ohne Eltern nach Deutschland geflüchtet
sind. Ich arbeite als Betreuerin. Meine Tätigkeiten sind, dass ich mich um ihre
Schule kümmere, ich begleite sie zu Arztbesuchen, führe die Erstgespräche und bin
immer Ansprechpartner für die Jugendlichen.
F: Woher kommen
die Jugendlichen und wie alt sind sie?
B: Mehrheitlich aus Syrien und Afghanistan, eine zeitlang
kamen auch viele Gambia, Nigeria, Bangladesch und Indien. Es gibt viele verschiedene
Nationalitäten. Der Jüngste zur Zeit ist 13, der Älteste ist gerade 18
geworden. Älter als 18 dürfen die Jugendlichen bei uns nicht sein.
F: Was haben die
Jugendlichen erlebt?
B: Alle Jugendliche haben eine Reise durch 7 bis 8 Länder hinter sich. Sie mussten weite
Strecken auf ihrer Flucht laufen, oder sehr hohe Summen an Schleuser zahlen.
Manche haben Eltern in der Heimat, die sehr krank sind und hoffen, dass sie
ihre Eltern nach Deutschland bringen können. Manche kommen aus politischen
Gründen nach Deutschland und wollen daher auch nicht mehr in die Heimat zurück.
Manche hoffen, dass sie ihre Eltern in der Heimat unterstützen können.
F: Gibt es einen Fall,
der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
B: Ja, es gab einen Jugendlichen, der mit seinen Eltern
auf der Flucht war. Sie haben es bis in die Türkei geschafft, dort wurden sie
aber von Sicherheitsleuten irgendwie getrennt. Er hat jetzt keinen
Kontakt mehr und sucht sie. Der DRK hat auch eine Suchaktion
gestartet. Er hofft, dass sie auch inzwischen in Deutschland sind, es könnte
aber auch sein, dass sie immer noch in der Türkei sind.
F: Gibt es Konflikte
im Heim und wenn ja, was für Konflikte sind es?
B: Ich bin der Meinung, dass es oft politische Konflikte
sind. Also im Sinne von: Du bist Afghane, ich bin Syrer und politisch sind wir
verfeindet. Natürlich kann ich es nicht nachvollziehen, weil sie eigentlich
alle die gleichen Probleme haben. Das größte Problem ist vermutlich die
Sprachbarriere, vielmehr als es ein Religionsproblem ist. Weil sie sich nicht
gegenseitig verstehen, sprechen sie weniger miteinander, und so entstehen
Konflikte. Die gleiche Religion ist daher keine Garantie für eine gute
Verständigung. Wenn sich die Jugendlichen untereinander verstehen, funktioniert
es gleich besser. Wegen Missverständnissen, kann es andererseits auch zu
Schlägereien kommen.
F: Vertragen sich die
Jugendlichen danach oder wie wird ein solcher Streit danach beigelegt?
B:Es gibt danach ein Krisengespräch, Dolmetscher werden da hinzugezogen. Es wird
ihnen dabei klargemacht, dass sie sich an die Regeln im Heim halten müssen. In
einem Heim mit so vielen Menschen, geht es nicht ohne Regeln. Das ist auch
allgemein ein sehr großes Problem. Viele Jugendlichen tun sich schwer, die
Regeln hier in Deutschland zu akzeptieren. Ich kann das auch irgendwie
verstehen, weil die meisten aus Ländern kommen, in der sie nicht solchen Regeln
ausgesetzt werden. In den anderen Ländern, durch die sie geflüchtet sind,
wurden sie oft sich selbst überlassen und mussten sich an nichts halten. In
Deutschland sind die Regeln nun mal sehr streng, besonders für Jugendliche. Das
Jugendheim will nun mal die Jugendlichen schützen.
F: Welche Regeln ist
besonders schwer für sie zu akzeptieren?
B: Zum Beispiel, das Gewalt absolut verboten ist. Oder
Ausgangszeiten. Viele sagen, dass sie doch machen könnten, was sie wollen und
dass sich niemand da einmischen kann. Oder die Regeln fürs Miteinander, also
dass man zum Beispiel nach einer bestimmten Uhrzeit die Nachtruhe einhält.
Solche Sachen muss man ihnen immer wieder klarmachen.
F: Wie stehen die
Jugendlichen zur Schule?
B: Sehr unterschiedlich. Einige sind mit dem Unterricht
nicht zufrieden. Sie wollen mehr Deutschunterricht, und mehr normale
Schulausbildung. Das geht aber nicht, weil die Schulklassen zu groß sind und
können daher nicht intensiv betreut werden. Andere wiederum waren noch nie in
der Schule und können nun nicht verstehen, warum sie morgens um 6 aufstehen
müssen, um sich für die Schule bereit zu machen. Vor allem die afghanischen
Jungs haben leider oft Schwierigkeiten zu verstehen, dass sie Deutsch lernen
müssen, auch um hier in Deutschland bleiben zu können. Die meisten haben aber
eigentlich den Wunsch nach einer guten Ausbildung. Die meisten haben ja in
ihrer Heimat die Schule bis zur 11. oder 12. Klasse besucht und können mehr
Sprachen als ich.
F: Verstehen die
meisten grundsätzlich, wie wichtig die deutsche Sprache hier ist?
B: Ich denke, wenn eine gute Betreuung möglich wäre, würden
die meisten es verstehen. Aber aktuell gibt es sehr viel Frustration was die
Schulausbildung angeht unter den Jugendlichen.
F: Kann man als
Außenstehender irgendwie helfen?
B: Ja kann man. Zum Beispiel mit Patenschaften. Man kann
eine Patenschaft mit einem Jugendlichen starten und sich einmal in der Woche,
oder alle zwei Wochen mit ihm treffen. Mit einer Art Sprachtandem könnte man
den Jugendlichen helfen. Man könnte auch den Jugendlichen die Stadt zeigen,
also was man alles in Mannheim oder Heidelberg machen kann. Man kann auch als
Verein ein Hilfsprojekt starten, wie zum Beispiel Kochabende mit den Jugendlichen
oder solche Lernstunden. Und ich bin dabei der Meinung, die ehrenamtlichen
Helfer fungieren hier als gute Vorbilder für die Jugendlichen.
F: Wie müsste ich
vorgehen, wenn ich ein Sprachtandem starten möchte?
B: Man findet die Kontaktdaten zu den Einrichtungen aus dem
Internet. Dann kann man einfach in der Einrichtung anrufen und fragen, ob es da
eine solche Möglichkeit gibt. Die meisten Einrichtungen sind froh, wenn man
solche Anfragen bekommt, weil eine intensive Betreuung der Jugendlichen von den
Sozialarbeitern in der Einrichtung einfach nicht möglich ist. Man kann sich
erstmal in der Einrichtung umschauen und kann sich dann aussuchen, mit welchem
Jugendlichen man zusammen arbeiten möchte. Und man könnte sich dann vielleicht
einmal in der Woche in der Einrichtung oder in der Bücherei treffen.
F:Was passiert mit
den Jugendlichen, wenn sie 18 Jahre alt sind?
B: Man schaut einfach, ob da noch ein Hilfsbedarf besteht,
wie auch bei anderen deutschen Jugendlichen. Man versucht ihnen eine
Ausbildungsstelle und Sprachkurse zu organisieren. Falls Hilfsbedarf besteht,
dann kann es bis zum 21. Lebensjahr verlängert werden. Man schaut da schon
ziemlich genau, inwiefern Hilfsbedarf besteht.
F: Ihr seid ja eine
Notaufnahme. Wie lange sind die Jugendlichen in der Regel bei euch?
B: Normalerweise sollten sie nicht länger als 3 Monate bei
uns bleiben. Die Jugendhilfeeinrichtungen sind im Moment eigentlich auch alle
voll. Seit dem November gibt es auch ein neues Gesetz. Die Jugendlichen, die
nach dem 1.November zu uns gekommen sind, werden umverteilt. Die, die
vorher gekommen sind, werden sie an die Anschlussmaßnahmen verlegt, in der
Hoffnung, dass sie dann dort besser betreut werden.
F: Willst du
vielleicht ein Schlusswort sagen?
B: Ich bin der Meinung, dass jeder helfen kann.
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